Visualisierung: Was die Deutschen essen

Ich teste gerade Tageszeitungen und lese aktuell die Frankfurter Rundschau. Eine Infografik in einem Artikel zur Grünen Woche über die Essgewohnheiten der Deutschen hat mich ins Grübeln gebracht …

Ich bin schwer überzeugt, dass Bilder und Visualisierungen das Verständnis von Informationen, Zusammenhängen oder Prozessen erleichtern. Allerdings tue ich mich mit den meisten Infografiken sehr schwer.

Sie mögen im Marketing nützlich sein, aber ich bin geneigt, Infografiken zu Zwecken der Informationspräsentation umfassend abzulehnen – mit wenigen Ausnahmen. Häufig überwiegen dekorative Elemente, die die Informationsübermittlung erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Dennoch bin ich im ersten Moment immer wieder von der Ästhetik dieser Darstellungen beeindruckt. Erst im zweiten Schritt merke ich, wie sinnfrei die Infografik ist.

Ähnlich erging es mir mit dieser Infografik, die am 20.01.2012 auf S.3 der Frankfurter Rundschau eingebettet in einem Artikel zur Grünen Woche in Berlin erschien.

Abb. 1 Original – Was die Deutschen essen

Auf den ersten Blick: schöne Piktogramme, die für sich selbst sprechen. Die Fläche der dargestellten Lebensmittel visualisiert wohl deren Verbrauch in Kilogramm pro Kopf für die Jahre 1950, 1980 und 2010.

Beschäftigt man sich etwas intensiver mit der Darstellung folgt die Ernüchterung. OK, Kartoffeln werden vermehrt verschmäht und auch Obst ist weniger beliebt. Aber: weder ein Vergleich zwischen den Lebensmitteln, noch eine genaue Abschätzung der Verbrauchsentwicklung ist mit dieser Darstellung machbar. Piktogrammflächen eignen sich nicht für die vergleichende Informationsrepräsentation.

Wie sieht für mich eine gute Darstellung aus?

Ich habe mich für eine einfache Balkendarstellung über die drei Zeitpunkte für jedes einzelne Lebensmittel entschieden. Für eine horizontale Trenddarstellung sind mir drei Jahreswerte zu wenig und für mich steht der Vergleich der Lebensmittel untereinander im Vordergrund.

Abb. 2 — Balkendarstellung Was die Deutschen essen

Zur Erhöhung der Informationsdichte habe ich die relativen Veränderungen zur Vorperiode mittels dünner blauer und oranger Balken hinzugefügt. Fleisch und Fisch sind in einem dunkleren Grauton als vegetarische Produkte eingefärbt. Das Schaubild habe ich in wenigen Minuten mit dem graphomate-Addon in SAP BO Dashboards (Xcelsius) gebaut.

Die hohen Steigerungsraten des Geflügelverzehrs sind beeindruckend, aber es wird deutlich, dass immer noch weniger Huhn als Gemüse gegessen wird. Der vegetarische Trend ist ebenfalls klar ablesbar. Umso erstaunlicher wie deutlich der Niedergang der Kartoffel im Vergleich ist.

Mit meinem Schaubild ermögliche ich das visuelle Vergleichen von einzelnen Elementen, was im Original der „Schönheit“ der Darstellung zum Opfer gefallen ist. Aber was ist schön? Das ist sehr subjektiv und sollte vielleicht nicht bei der Informationspräsentation im Vordergrund stehen. Stephen Few bringt es mal wieder sauber auf den Punkt:

Therefore, a data visualization should only be beautiful when beauty can promote understanding in some way without undermining it in another.

Anscheinend gibt es jedoch Verfechter der Infografik, die genau dies beabsichtigen: Dekoration vor Inhalt! Diesen Eindruck muss man zwangsläufig beim Lesen dieses – englischen – Artikels bekommen.

Zu guter Letzt: Richtig schlecht wird die FR-Infografik aber erst auf den dritten Blick:

  • Ist Käse nicht auch ein Milcherzeugnis?
  • Die Deutschen essen kein Getreide – also kein Brot, keine Nudeln – und kein Rindfleisch?

Eine wesentliche Forderung für gute Informationspräsentation nach den SUCCESS-Reglen von Rolf Hichert – hier STRUCTURE – wird nicht eingehalten: die dargestellten Sachverhalte sollten überschneidungsfrei und erschöpfend formuliert sein.

Ich hoffe, ich konnte – mal wieder – eine Lanze für einfache und damit verständlichere Visualisierungen von Informationen brechen.

the best,

Unterschrift

Update 27.02.2012:

Meine Visualisierung des Lebensmittelverzehrs der Deutschen hat einiges Feedback provoziert.

Insbesondere meine Wahl des Strukturvergleichs- das Balkendiagramm – für die  Darstellung von Zeitabläufen war Gegenstand der Diskussionen: Zeitläufe sollten immer mit Säulendiagrammen dargestellt. Das stimmt ja auch, grundsätzlich …
Einer meiner Kollegen – Björn Rick, ein Hichert Certified Consultant – hat gleich eine eigene Visualisierung mitgesendet:

Abb. 3 – Was die Deutschen essen – Vorschlag Björn Rick

Björn hat sich die Mühe gemacht die Daten zu ergänzen und bildet 7 Zeitpunkte ab. Klar, in diesem Fall würde ich auch sofort das Säulendiagramm nutzen, da ich einen Trend abbilden kann. 3 Werte machen meines Erachtens keinen Trend, daher fiel meine Wahl auf Balken statt Säulen.

Ein anderer interessanter Kritikpunkt kam von einem weiteren HCC-Kollegen: Jens Fleckenstein. Ihn stört die willkürliche Skalierung der prozentualen Abweichungen zum Vorjahr. Seines Erachtens vermutet der Betrachter einen Zusammenhang zwischen den Jahres- und Abweichungsbalken, der tatsächlich nicht existiert. Jens favorisiert deshalb kleine Tortendiagramme zur Visualisierung der prozentualen Abweichung zum Vorjahr und liefert auch gleich ein Beispiel dieser Darstellungsmöglichkeit:

Abb. 3 – Was die Deutschen essen – Vorschlag Jens Fleckenstein

Ich habe bewusst auf die Farbwahl rot und grün für die Abweichungen verzichtet, weil mit diesen Farben schnell eine Bewertung einhergeht: Ist es „gut“ – mit grün konnotiert – wenn der Geflügelverzehr um 725% zunimmt, oder eher nicht?
Aber ansonsten gefällt mir die Anwendung des Tortendiagrams hier gut: wenn man es schafft, identische Tortenflächen für prozentuale Abweichungen als „small multiples“ zu verwenden, erhält der Betrachter seitenübergreifend einen Bezugspunkt für die Höhe der Abweichung. Dies ist bei Balken aufgrund des leidigen Skalierungsthemas ungleich schwieriger.

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